Folge 0002 | Rottscher Telefonterror

Folge 0002 | Rottscher Telefonterror

Es ist immer noch März. Der Tag ist kalt-sonnig, einige Vögel zwitschern, an den Straßen kleben graue Schneereste und das erste Grün räkelt sich langsam aber sicher der kargen Sonnenstrahlung entgegen. Derweilen sitzen Hahn und Winter der Hahn und Winter GmbH an ihren Computern und bekriegen sich in Counter Strike.

Frau Roggen, die sich nach der letzten Eskalation wieder beruhigt hat und nach ein paar Zeilen von Blavatskys “Stimme der Stille” feststellte, dass ein von Menschen besiedelter Planet die größte Hölle ist, ärgert sich über Fettflecken auf notariell-unterzeichneten Dokumenten. Die Flecken stammen übrigens von ihren Fingern, die kurz davor in einer Ültje Erdnussdose versunken waren. Sabine sitzt mit dem Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter auf ihrem Stuhl, den sie gerade versucht mit beiden Händen hektisch besser einzustellen. Vor der Tür stehen Baris und Knoppers und rauchen. Georg starrt sichtlich genervt auf sein klingelndes Telefon.

Georg: Alex, ich verzichte auf 50%  meines extrem großzügigen Gehaltes, wenn ich nie wieder mit Rott am Telefon reden muss – überhaupt mit ihm reden muss. Bitte, bitte befreie mich von diesem Terror. Es ist mittlerweile das 14 mal, dass er heute anruft.
Alexander: … stell dich nicht so an – Martin du kleine Ratte, ich war gerade abgelenkt, das zählt nicht.
Martin: Pech, Hahn … Pech!

Georg rollt mit den Augen und geht widerwillig ans Telefon.

Georg: Hallo Christoph, alles klar?
Christoph: Ich habe gerade eine neue Bestellung aufgegeben, da kriegmamamia einen Naturalrabatt von 6%
Georg: Oh? Was genau für Produkte hast du denn bestellt?
Christoph: Von Kerastase habe ich eine Bestellung aufgegeben – 1200 Haarmasken, die verkaufen wir jetzt zu einem super Preis und schon kann die Konkurrenz einpacken.
Georg: Du hast 1200 Haarmasken gekauft? Ok? Und wie wollen wir die jemals an den Mann bringen?
Christoph: Ganz einfach, da machen wir jetzt Bundles. Wie an Weihnachten. Da kömmamamia die Weihnachtsbundles nehmen und ändern.
Georg: Die Weihnachtsbundles liefen nicht besonders gut – Haarmasken laufen nicht besonders gut. Das kaufen die Wenigsten.
Christoph: Ich nehm dann auch welche in die Filialen und wenn wir jetzt dann bald expandieren, dann gehn die weg wie warme Semmeln, sag ich dir, Georg.

Alexander wird auf das Gespräch aufmerksam und kommt an den Schreibtisch, während er sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe klopft. Frau Roggen zieht gerade einen ‘Kosmische-Energie Tachyonen Engelsaufkleber’ von der Folie um diesen auf ihr neues Handy zu kleben. Dadurch werden nicht nur schwarzmagische Angriffe geblockt, sondern auch die Strahlung des Handys verschwindet gänzlich. Das eigentliche Wunder daran: Sie kann trotz völlig transzendierter Strahlung immer noch telefonieren.

Alexander: Hast du gerade 1200 Kerastase Haarmasken gesagt? Tickt der noch ganz richtig? Gib mir mal das Telefon.

Georg: Christoph, Alex will dir was sagen.

Georg hat kaum ausgesprochen, da hat ihm Alexander auch schon das Telefon aus der Hand gezerrt. Im Hintergrund hört man das Knistern einer Chipstüte von Sabines Schreibtisch und Baris kommt gerade wieder vom Rauchen zurück. Knoppers macht sich auf den Weg zurück ins Lager und träumt simple Träume eines simplen Lebens.

Alexander: Sag mal, wieso kannst du denn sowas nicht vorher mit mir absprechen? Du kannst nicht einfach solche Entscheidungen treffen, ohne vorher mit mir Rücksprache zu halten.
Christoph: Ach Alexander… Das ist Kerastase, das verkauft sich wie Wasser in der Wüste.
Alexander: Wasser in der Wüste? Du vergleichst hochpreisige Haarmasken mit Wasser in der Wüste? Ich glaube viel mehr, dass du vor irgendeinem dahergelaufenem Vertreterdeppen einen auf dicke Hose machen wolltest und dir irgendeinen Müll hast andrehen lassen. Das kann einfach nicht sein. 1200 Haarmasken. Wenn jeder 40 Kunde eine kauft, brauchen wir einen Durchlauf von 48.000 Kunden.
Christoph: Jetzt halt dich mal ein bisschen zurück. Wir expandieren – das kriegen wir locker an den Mann, locker! Da macht der Georg jetzt Spezialbundles mit einem Extrarabatt und du stellst in Google dieses Ads-Wöds ein und dann PENG, sag ich dir, Alexander, PENG!

Alexander seufzt

Christoph: Du ich bin gerade sowieso in der Nähe, ich hab da einen Vertreter Termin gehabt – eine neue Marke “Dare my Hair” – das wird der Renner.
Alexander unterbricht: Kein Mensch kauft eine neue Marke, die sich noch nicht im Markt durchgesetzt hat
Christoph: äh, ich schau danach auf jeden Fall noch bei euch vorbei, dann kömmamamia des unter vier Augen nochmal besprechen. Ich sag dir, das kommt ganz groß raus.

Alexander reibt sich die Augen und legt auf. Georg muss sich mit viel Kraft das Lachen verkneifen.

Alexander: Der Typ treibt uns noch alle in den Ruin.
Georg: Ich kenne kaum jemanden mit derartig vielen Macken, wie Christoph sie hat – Macken und Pickel – wie sein Sohn.
Alexander: Pfui Teufel, Georg.
Georg: Letztens erst wieder so eine gelb-weisse Zeitbombe auf dem Hals – da kann man gar nicht mehr zuhören, weil man immer irgendwie unter Spannung steht und Angst hat, dass das Teil aufplatzt, oder er aus Versehen drüber kratzt und mir danach seine Hand auf die Schulter legt.
Martin stößt in die Runde: Du bist sooo widerlich, Georg.
Sabine von hinten: Wenn ihr mich kotzen sehen wollt, dann macht nur weiter so. Aber das wird dann nicht schön, ich habe heute schon relativ viel zu mir genommen. [Sabine stößt auf, schluckt und atmet demonstrativ durch den Mund aus]
Georg: Sabine. Mach das bitte nie nie nie wieder. Damit kannst du langzeitliche, schwerste psychische Störungen bei mir und deinen Kollegen auslösen.
Frau Roggen: Psychische Störungen sind nichts weiter als ein karmisches Ungleichgewicht, dass sich über tausende Inkarnationen erstreckt.
Georg: Glauben Sie mir Frau Roggen, Sabine kann problemlos psychische Schäden bei anderen hervorrufen, die tausende von Inkarnationen zum Heilen brauchen. Genau genommen wirft sie damit das Universum Jahrmillionen im Bestreben nach Einheit zurück.

Sabine rückt Georg mit ihrer Chipstüte auf die Pelle, nimmt demonstrativ eine besonders große Kartoffelscheibe aus der Tüte und bewegt ihren Kopf bis etwa 4cm vor Georgs Ohr und beginnt mit offenem Mund zu kauen.

Georg stürzt sich von seinem Stuhl, rollt sich ab und flüchtet unter den nächstgelegenen Schreibtisch und schiebt einen Stuhl zum Schutz davor.

Georg winselt: Aaaaah, ich kann nie wieder in meinem Leben Chips essen. Das Geräusch und den Geruch – ich werde es nie wieder loswerden. … tötet mich, bitte tööötet mich!

 Einige Stunden vergehen

Ein protziger Mercedes fährt die EInfahrt hoch und braust aufdringlich mit quietschenden Reifen auf die Parkplätze der Hahn und Winter GmbH. Der Wagen kommt schräg, zwei Plätze für sich beanspruchend, zum Stehen. Die Türe wird mit Wucht aufgeschwungen und mit einem lauten Stöhnen und Ächzen zwängt sich der nicht besonders sportliche Herr Rott aus seinem offensichtlich sportlichen Auto. Alexander, Sabine, Georg und Martin sehen zum Fenster hinaus und werden durch die Ankunft von Herrn Rott keinesfalls mit Glücksgefühlen geschwängert, lediglich Frau Roggen hüpft auf ihre Stampfer und ist sichtlich begeistert, dass der Rott das Büro mit seiner Anwesenheit beglückt.

Herr Rott beim Reinkommen: Ja, ja, ja … Grüßt Euch alle zusammen!
Herr Rott zu Alexander: Alexander! Wie laufen die Geschäfte [ohne auf eine Antwort zu warten richtet er seine Aufmerksamkeit zu Georg] und? hast du schon Bundles angelegt?
Georg: leider, leider bin ich noch nicht dazu gekommen. Sooo viel zu tun. Ich hatte kaum Zeit meinen Kaffee zu trinken.
Martin: bevor oder nachdem du Facebook auswendig gelernt hast?
Baris: ich glaube du verwechselst das mit gayromeo.de

Alexander lacht
Frau Roggen schüttelt den Kopf

Frau Roggen: also darüber sollten Sie nicht lachen, Herr Hahn.
Alexander: Frau Roggen, ich bin nun einmal ein froher und sehr spiritueller Mensch. Lachen heilt die Seele, wissen Sie.
Frau Roggen: Ja Herr Hahn, Jaaa!

Frau Roggen umarmt Alexander und drückt ihn an sich.

Herr Rott: Mich drücken Sie nie, Frau Roggen – von einem heißen Feger wie Ihnen, lass ich mich gerne auch mal länger drücken.

Frau Roggen kichert beschämt

Herr Rott: Du Alexander, ich muss ein paar Shampongs mitnehmen, weil ich was in die Filialen tun muss.
Alexander: schon wieder? Aber bitte nicht die Bestseller, sonst bekommen wir Lieferschwierigkeiten.
Frau Roggen: Ich kann ja mit runter kommen und Ihnen ein bisschen zur Hand gehen – ich wollte mir sowieso ein bisschen die Beine vertreten.
Alexander: ja machen Sie das.
Herr Rott: und der Georg macht solang die Bundles fertig!

Dabei schlägt Herr Rott Georg freundschaftlich-befehlend auf die Schulter. Da er aber ein Trampel ist und kaum seine Kraftmomente richtig einschätzen kann, donnert er Georg mit einer Wucht auf die Schulter, dass dieser fast zusammensackt.

Georg: Kannst du es bitte unterlassen mich aus dem Nichts zu verprügeln?
Herr Rott: jetzt sei doch nicht so eine Memme. Haha, der Georg, so eine Memme. So wird man, wenn man nicht im Militär war. Ich bin ja mit Hubschraubern dort geflogen und Lastwagen gefahren. 40 Tonner, Georg. Ich bin da schon aus einem ganz anderem Holz geschnitzt.

Christoph Rott und Lili Roggen machen sich auf den Weg ins Lager. Georg sitzt an seinem Schreibtisch und reibt sich die Schulter. Sabine vertilgt gerade genüsslich eine in der Mikrowelle aufgewärmte Drei-Portionen-Dose Ravioli mit Frischkäse (Doppelrahmstufe) und Martin lästert mit Alexander über Frau Roggens Schneekugel (Ein Engel für positive Gedanken)

Sabine kauend: Ich habe heute Abend irgendwie Lust auf italienisch.
Martin: hast du nicht immer Lust auf italienisch?
Sabine: kannst du dich bitte auf einen Stuhl stellen, wenn du mit mir sprichst, sonst kann ich dich leider nicht sehen und bilde mir ein Stimmen zu hören
Georg: er braucht ja eine Leiter um auf den Stuhl zu kommen
Martin: ihr seid alle so witzig! Komisch, dass ihr im Büro arbeitet und keine weltberühmten Komiker seid.

Eli schreitet mit einem breiten Grinsen und einem halb-schüchternen Hi zur Tür herein.

Georg: Hi! Schön, dass du da bist, was gibt’s denn?
Eli: Ich dachte, wir könnten zusammen nach der Arbeit was essen gehen.
Alexander: Georg ist heute zweieinhalb Stunden zu spät gekommen. Ich denke nicht, dass er so schnell gehen wird.
Georg: spieß mal nicht so krass ab, ok
Martin: der Hahn ist jetzt total professionell, seit die Roggen da ist.
Georg lachend: ja, das neue Traumpaar – könnten hübsche Kinder werden.
Eli: die wären ja dann schon eher von der properen Sorte – Babies die nicht heulen, sondern quieken

Martin und Georg lachen

Alexander: In meinem Leben habe ich noch nichts unlustigeres gehört. Es ist kaum möglich in diesem Dasein etwas auszusprechen oder zu fabrizieren, das auch nur im Ansatz unlustiger ist als ihr. Das Gremium der zeitlosen Weisen, die weit hinter den Räumen des Weltalls existieren würden mir mit Sicherheit zustimmen.

Eli: also ich als Mitglied des Gremiums der zeitlosen Weisen kann dir nur sagen, dass ich es schon recht witzig fand.
Georg: was für ein Zufall! Ich bin auch Mitglied.
Martin: das gibt’s jetzt nicht, oder [fasst sich an den Kopf und lacht] … ich auch!
Baris: ich wusste doch, dass ich euch schon vorher irgendwo gesehen habe.
Sabine: ha, ich wollte es einfach nicht aussprechen, da ich dachte, dass es sowieso allen klar ist.

Sabine macht eine Power-Rangers artige Handbewegung um damit einen “Gruß der Eingeweihten” oder etwas ähnliches anzudeuten. Georg, Martin, Baris und Eli machen es zeitgleich nach.

Alexander abfällig: ab an die Arbeit! Ich habe jetzt keine Zeit für eure Kindereien.

Eli stellt eine luxuriös aussehende Papiereinkaufstasche auf Georgs Schreibtisch und kramt darin herum. Er zieht eine Box von Ittala heraus und stellt sie vor Georg.

Eli: Hier, habe ich dir mitgebracht, das ist eine Wasserkaraffe. Die ist wirklich schön gemacht – schau, das Glas ist gleichzeitig der Verschluss der Karaffe. Hier habe ich auch noch Zitronen mitgebracht – dann schmeckt es besser und ist auch gesund.
Georg: wow, cool – Danke.

Neidische Blicke der Kollegen prasseln auf Georgs Schreibtisch. Sabine schraubt eine Flasche SchwippSchwapp auf und wundert sich darüber, dass irgendjemand Wasser trinken würde, wenn man auch SchwippSchwapp haben kann. Alexander kommt an den Schreibtisch und begutachtet das Gefäß.

Alexander: Ah, Ittala – kenn ich – ist ganz gut.
Eli: Ich will meiner Mutter ein Paket nach Israel schicken und wollte bitten, dass ihr mir vielleicht ein gutes Haarprodukt mitgeben könnt.
Alexander: klar, geh mit Georg ins Lager runter und sucht euch etwas aus – da fällt mir ein, dass Yuri noch Conditioner braucht – ich komme auch mit.

Auf dem Weg nach unten kommt ihnen Knoppers aus einer ganz anderen Richtung entgegen. Wie es sich herausstellt, war Knoppers gerade in der Pause und hat sich zwei Leberkäsesemmeln gekauft. Eine davon schon fast verzehrt. Gemeinsam gehen alle ins Lager. Als sie die Türe öffnen, weht ihnen direkt ein seltsam anmutender Geruch entgegen, der nicht wirklich an Haarprodukte erinnert. Neben dem Geruch ist noch deutlich ein schnaufendes, sabberndes und quietschendes Geräusch zu hören. Alexander geht mit schnellen Schritten ins Lager hinein und blickt nach rechts in einen der Lagergänge aus dem die Geräusche kommen. Ein markdurchdringender Schrei kommt von Alex – ein Schrei, der sehr untypisch für ihn ist und bis jetzt noch niemand von ihm gehört hat. Der Schrei wird noch lauter und auch länger von Frau Roggen erwidert.

Frau Roggen während sie sich die Hose (mit viel Kraft) hochzieht: Oh Gott, oh nein, oh nein, oh Gott … oh nein …
Alexander völlig erstarrt: was … was zur Hölle?!
Herr Rott lachend: Ja, Alexander. Da kannst du dir eine Scheibe abschneiden.

Georg, Eli, Martin und Knoppers kommen hinzu und sehen noch wie sich Frau Roggen die Bluse mit relativ viel Spannung zuknöpft und Herr Rott seinen Gürtel schließt. Frau Roggen fängt an zu heulen und läuft aus dem Lager.

Alexander: das ist wohl das widerlichste was ich je gesehen habe. Ich weiß jetzt, was es bedeutet traumatisiert zu sein.
Georg: nicht wirklich, oder? Das ist gerade nicht wirklich passiert?
Eli zu Georg: In was für einer Firma arbeitest Du eigentlich?
Martin lachend: so hätte ich jetzt die Roggen nicht eingeschätzt
Herr Rott: ach ihr seid doch noch alle Kinder. Ein Mann tut, was ein Mann tun muss.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren gehen alle nach oben. Frau Roggen sieht man nur noch von hinten auf ihrem Roller davonbrausen.


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