Folge 0003 | Ristretti contra Cardio

Folge 0003 | Ristretti contra Cardio

Ein kalter Wind begleitet von einem leichten aber unangenehmen Regen bläst durch die Innenstadt. Georg und Kim sitzen im Donutladen (Sweet Open Holes) und gönnen sich jeweils ein Stück Oreo-Torte (Die wirklich allerletzte vor der konsequenten 0-Diät) mit einer Dose Mountain Dew (Schleichwerbung). Der Besitzer des Donutladens, Michael Vanquez bedient gerade zwei Kunden, die auch durchaus vier sein könnten. Als die beiden sich nun endlich entschieden haben, welche Donuts sie für ihre 20er-Box wählen, das ganze eingepackt ist und der Laden schwer atmend verlassen wird, schreitet Michael mit erhobenem Haupt zu Georg und Kim.

Michael: Oooh Goott, die kommen jeden Tag und kaufen zusammen eine 20er Box. Kein Wunder, dass die so aussehen. [rümpft die Nase]
Georg: Wie schlafen solche Menschen eigentlich miteinander?
Kim: wahrscheinlich hat er einen hammerfetten Dödel, der gleich eines Eisbrechers durch ihre Schichten wabbert und in ihr eine extatische Fettplosion auslöst.
Georg: Danke, Kim … vielen Dank für deine nette Beschreibung. Das hat uns alle wieder ein Stück näher der Erleuchtung gebracht.
Michael lachend: Fettplosion!
Kim: Was denn? Biste neuerdings Zeuge Jehovas, oder was?
Georg: Ja klar, da fällt mir ein, ich muss mich nachher noch 10 Stunden an die Straße Stellen und Wachturm-Ausgaben verteilen und morgen früh klingle ich die Leute wach und weise sie freundlich darauf hin, dass sie die Wahl haben, den Wachturm zu lesen oder für immer in der Hölle zu schmoren.
Kim: Die sind so hart – wie wird man so?
Michael: Ja ist doch logisch? Hallo … man muss einfach nur super langweilig sein und irgendwann merkt man halt dann so – “ja, ich habs halt irgendwie nicht geschafft, ich bin end scheiße” und dann geht man zu so ner Sekte um sich damit zu identifizieren … So “ah ich bin unsterblich und meine Seele ist total super und so” und schon findet man sich nicht mehr langweilig.

Kim und Georg lachen

Michael: Übrigens, Christian … voll die Schlampe. [hier wäre es vielleicht wichtig zu erwähnen, dass Michael kein Maskulinum kennt - Christian ist männlich. Man erkennt entweder am Namen oder im Kontext um welches Geschlecht es sich handelt] Gestern hab ich sie mit der Alten da gesehen – die gegenüber von Andreas wohnt…
Georg: Timo
Michael: Ja, genau die … oh Gott, oder? Die ist hunderpro hiffplus – also ich würde der ja niemals auch nur die Hand schütteln.
Kim: Echt? Bist du dir da sicher?
Michael: Hundert Proho… Oh Gott, Hand ins Feuer! [fasst sich ans Dekolleté, schließt die Augen und nickt]

Georgs Handy vibriert in seiner Hosentasche. Er zieht es heraus und wirft einen skeptischen Blick darauf.

Michael: Oh Gott, du bist ja echt die Allerwichtigste. [rollt mit den Augen]
Kim kauend: Nö, das bin schon ich!
Georg: Alex ruft an – da sollte ich besser mal rangehen.

Georg geht ans Handy – es ist wichtig zu wissen, dass Georg kaum an sein Handy geht. Meistens hat er keine Lust oder er merkt es einfach nicht oder aber er schuldet der Person, die ihn anruft noch Geld. Vielleicht hat er den Anrufer zuvor versetzt, irgendetwas wichtiges nicht erledigt etc. etc. – wie dem auch sei, Georg gehört zu den Personen, bei denen man relativ schnell die Mailbox-Ansage auswendig runterbeten kann.

Georg: Hi Alex, was geht?
Alexander: Ja, hi Georg. Also, morgen früh gegen 8:00 wird die neue Nespresso Maschine geliefert und ich kann so früh nicht ins Büro, weil ich einen relativ wichtigen Termin ausserhalb der Stadt habe. Deshalb musst du morgen allerspätestens um 8:00 im Büro sein um die Lieferung entgegen zu nehmen.
Georg: Machst du Witze? 8:00 ist quasi noch mitten in der Nacht. Wieso muss ich das machen? Ruf Sabine oder die Roggen an.
Alexander: Sabine hat einen Arzttermin und die Roggen kann nie vor 9:00… Also sei bitte morgen früh pünktlich da – und diesmal wirklich pünktlich, nicht Georg-pünktlich, ok?
Georg sichtlich gestresst: Mann… sowas kannst du auch früher sagen.
Alexander: Georg, nerv jetzt nicht, ja. Du musst morgen unbedingt pünktlich um 8:00 im Büro sein!
Georg: Ja, ja, ja … passt schon.

Im Hintergrund hört man plötzlich Yuri kreischen.

Yuri: Alex, sag mal hast du noch alle Tassen im Schrank! Du hast deinen scheiss Tee auf meine handgeschriebenen Liszt-Noten von 1870 gestellt. Oh Gott, du bist so dumm…
Alexander zu Yuri: halt mal die Klappe, ja? Ich bin am Telefon.
Yuri noch lauter: Ich soll die Klappe halten? Du hast gerade einen kreisrunden Teefleck auf meine original Liszt-Noten gemacht [motzt irgendwas auf koreanisch hinterher]
Alexander zu Georg: Ok, ich muss jetzt auflegen. Bis morgen, ich werde so gegen 13:00 im Büro sein – zusammen mit Rott.
Georg: Meinetwegen Aber … [Alex legt auf]

Georg überlegt sich für einen Moment auszuflippen, die Inneneinrichtung des Donutladens zu demolieren und hysterisch zu schreien, verwirft den Gedanken darauf jedoch sofort wieder. Für einen Moment wünscht er sich, nicht ans Telefon gegangen zu sein.

Michael: Ist jemand gestorben oder was? [macht eine Kopfbewegung ähnlich einer Afro-Amerikanerin mit Attitüde - fehlt nur noch das Schnippen mit den Fingern]
Kim: Du schaust so freundlich und ausgeglichen!
Georg mit weinerlicher Stimme: Alex hat mir gerade die Stimmung ruiniert – morgen soll ich um 8:00 im Büro sein. Der spinnt, oder?
Michael abfällig: Ah, die Dicke mit dem Porsche und den roten All Stars.

Kim lacht

Kim: Um 8:00? Was genau ist jetzt so schlimm daran?
Georg: Ich habe keinen Bock so mich so früh aus der Kiste zu quälen. Wieso muss man eigentlich so früh ins Büro? Ich schreib jetzt mal dieser Merkel einen Brief. Bürozeiten von 11:00 bis 14:00! Das muss reichen – dann ist man zumindest motiviert und wenn man drei Stunden produktiv arbeitet, dann sollte das passen.
Kim: Mhm … geh halt gleich hartzen.
Michael: Oh Gott, voll asozial [spitz seine Lippen und glotzt mit einer angehobenen Augenbraue vorwurfsvoll auf Georg]
Georg: ich hätte ja nichts dagegen, wenn ich dann wenigstens so 8000 Euro netto verdienen würde. Aber jeden Tag ins Büro gehen und mich für einen Hungerlohn psychischen Qualen auszusetzen?
Kim: Psychische Qualen? Findest du nicht, dass du gerade ein klitzeklein wenig übertreibst?
Georg: Telefonier du 10 mal am Tag mit dem Rott, während die Roggen mit ihrem Weight Watchers Stirnband um deinen Schreibtisch joggt und dabei aus höchster Überzeugung deine toten Verwandten wegpendelt.
Michael mit der flachen Hand knapp über dem Mund: Oh Gott, so ne Esotante? [atmet laut hauchend durch den Mund aus]

Am nächsten Morgen um 8:15 in Georgs Wohnung

Kim klopf an Georgs Tür: Hallo! Guten Morgen! Solltest du heute nicht bereits um 8:00 im Büro sein?
Georg brummelt verschlafen etwas kaum verständliches zurück
Georg Sekunden später: Verdammt! Oh Mann …

Nach genau 57 Sekunden steht Georg fertig angezogen mit Rucksack im Gang.

Georg gehetzt: Kim, sag mal hast du zufällig noch einen Kaugummi?
Kim: Wie wärs wenn du dir einfach die Zähne putzt? Die zwei Minuten machen es jetzt auch nicht mehr aus.
Georg: Geht nicht, ich hab schon einen Taxi gerufen.
Kim: Taxi? Du hast echt so einen Schaden… [kramt in ihrer Tasche herum] … hier

Georg steckt sich direkt den Kaugummi in den Mund und eilt davon. Kurz vor halb neun kommt Georg am Büro an. Vor der Türe steht schon ein genervter Lieferant, der wie es aussieht gerade mit Alexander telefoniert.

Lieferant: Aber Sie wussten doch über den Liefertermin bescheid.
Alexander: Ja, es sollte auch ein Mitarbeiter ab 8:00 vor Ort sein …

In genau diesem Moment kommt Georg die Treppe hochgeschossen und winkt dem Lieferanten entgegen. Nach einem längeren hin und her ist die Maschine dann aufgebaut, Georg wird kurz in die Funktionsweise eingeführt und die verschiedenen Kaffeesorten werden ihm erklärt. Kurz darauf trudeln Sabine und Frau Roggen ein, die nach einer kleinen Einführung von Georg, neben diesem, eine Tasse frischen duftenden Kaffee auf ihrem Schreibtisch stehen haben und sich angeregt über dessen Qualität unterhalten. Sabine hat neben dem Kaffe auch noch zwei Schokocroissants und Frau Roggen zwei paar Wiener und ein Olivenciabatta auf dem Schreibtisch. Als dann auch Baris und nicht lange danach Martin kommen, ist die Belegschaft fast komplett.

Sabine mit vollem Mund: Baris, hast du die Produkte für den Newsletter fertig? Du wolltest mir die spätestens bis gestern Abend geschickt haben.
Baris gelangweilt: Ja, gleich. Bin hier gerade noch busy.
Sabine kauend: Beeil dich bitte [wendet sich zu Georg] … und von dir brauche ich bitte die Texte, sonst können wir heute wieder nicht verschicken. Wenn hier nachher der Rott aufschlägt und wir den bis dahin nicht fertig haben, dann kriegt er wieder so einen unschönen roten Kopf mit blauen pulsierenden Schlagadern. Ist zwar recht unterhaltsam aber wenn wir das zu oft haben, wird es mit der Zeit nur langweilig.
Georg noch gelangweilter: Ja, chill mal, ok… ich bin so gut wie fertig…. und nein, sowas wird grundsätzlich nicht langweilig – immer lustig.

Georg öffnet das Dokument mit den Texten für den aktuellen Newsletter und überarbeitet diese flüchtig. Danach speichert er die Datei ab und geht sich einen weiteren Kaffee machen. Martin sieht bei Georg das geöffnete Dokument und schleicht sich schnell an dessen Schreibtisch um etwas daran zu ändern, speichert und geht gerade rechtzeitig zurück an seinen Arbeitsplatz.

Georg kurz darauf: So, ich hab dir den Text geschickt.
Baris: Ja, Produkte sind auch fertig, kannst sie dir aus der Dropbox ziehen.
Sabine: Ein Wunder, ihr reagiert auf Arbeitsanweisungen [zwickt sich demonstrativ]
Georg: Schade, dass du keinen Like-Button hast, Sabine. Du bist so liebenswert und cool.
Baris lachend: Ja, total cool, die Sabine. Vielleicht wenn ich mal groß bin, finden mich die Leute auch so cool wie die Sabine.
Georg: Wird schwer werden – es sei denn du trägst auch Speedcats mit Schlaghose – ist immer in.

Sabine zeigt abwechselnd Baris und Georg den Mittelfinger

Frau Roggen: Das ist jetzt nicht angebracht, meine Herren. Jeder darf sich modisch nach seinen Wünschen und Vorstellungen entfalten.
Martin leise zu Georg: Also die Roggen entfaltet sich ja erst, nachdem sie sich ausgezogen hat.

Georg und Martin haben ihren täglichen 5-Minuten Lachanfall. Bald darauf kommen Alexander und Herr Rott ins Büro – beide haben sichtlich gute Laune und Herr Rott hat wohl schon im Vorfeld von Alexander erfahren, dass eine neue Nespresso-Maschine auf die beiden wartet. Nach den üblichen, dämlichen und teilweise zutiefst nervtötenden Begrüßungssprüchen von Herrn Rott, die Georg, Baris, Sabine und Martin wirklich ernsthaft belästigen, bewegen sich Herr Rott und Alexander zur neuen Kaffeemaschine.

Sabine: Der neue Newsletter ist gerade rausgegangen.
Alexander: Sehr gut! Ich schau ihn mir gleich an
Herr Rott: Wunderbar, jetzt machmamamia ordentlich Umsatz [reibt seine dicken Wurstfinger aneinander]
Alexander: Was für einen Kaffee möchtest du denn, Christoph?
Herr Rott: Ja, ich nimm was starkes, was hast du denn da?
Alexander: Naja, das Stärkste sind laut Beschreibung die Ristretti, die haben einen Stärkegrad von 10. Möchtest du den haben?
Herr Rott: Ja, den probier ich jetzt amal gleich … [klopf dreimal mit den Knöcheln an die Kaffeemaschine. Warum er das macht, ist jedem schleierhaft]

Alexander lässt sich und Herrn Rott jeweils einen Kaffee aus der Maschine. Herr Rott nimmt den Ristretto entgegen und schwenkt die Tasse kurz, riecht daran und trinkt - als wäre er der südamerikanische Kaffee-Kaiser höchstpersönlich. [Ristretto 1]

Alexander: Der schmeckt gar nicht schlecht, oder?
Herr Rott: Nicht schlecht, ja. Ein bisschen wenig. Ich glaub ich nimmia noch einen Doppelten.

Herr Rott lässt sich von Alexander einen doppelten Ristretto (mit zwei Pads) machen. [Ristretti 2 und 3]

Herr Rott: Schön, schön … die sind gut und leicht zu machen. Da musst Du mia amal die Kontaktdaten geben, damit ich für die Filialen solche Kaffeemaschinen bestellen kann.
Alexander: Also, ich denke für so eine Provinzfiliale sind diese Maschinen dann doch etwas teuer.
Herr Rott: Provinzfiliale? Warst du schon mal in einer meiner Filialen? Die sind top, sag ich dir Alexander. Top sind die.
Alexander: Ja, ich bin mir sicher.

Herr Rott redet weiter, aber Alexander hört nicht mehr zu, da er damit beschäftigt ist den Newsletter zu lesen. Herr Rott ist derweilen dabei sich einen weiteren Ristretto zu gönnen. [Ristretto 4] Plötzlich wird Alexander ganz blass im Gesicht und schaut schockiert auf.

Alexander mit zorniger Stimme: Wer zum Teufel hat den Newsletter ruiniert?
Sabine: Bitte was? Was soll denn mit dem Newsletter sein?
Herr Rott: Was denn, ruiniert? Was ist denn?
Georg verwundert: Wie bitte? Ich hab nichts gemacht! Ich hab nur den Text geschrieben.
Baris: Was ist denn los?

Martin wird rot und muss sich das Lachen verkneifen. Frau Roggen schaut hilflos in Alexanders Richtung und fürchtet sich geradezu vor der Offenbarung des Fehlers.

Alexander liest fassungslos vor: ‘Der nach Lotusblüten duftende Conditioner, macht das Haar und Ihre Nippel geschmeidig’
Herr Rott laut: Bitte was?
Frau Roggen: Um Gottes Willen? Herr Hahn, meinen Sie das gerade ernst? Um Himmels Willen! [fasst sich an die Stirn]

Sabine, Georg, Martin als auch Baris halten die Luft an und kämpfen mit aller Kraft, nicht loszulachen. Herr Rott scheint irgendwie nicht genau zu verstehen was gerade passiert. Er kann sich nicht entscheiden, wie er reagieren soll, deshalb hält er sich an Alexanders Reaktion und imitiert diesen.  Christoph fehlt hier jedoch die nötige Souveränität und es wirkt ein bisschen, als würde Ottfried Fischer den sterbenden Schwan tanzen.

Alexander entnervt: Also, wer hat das zu verantworten?
Georg amüsiert und verwirrt: Jetzt ganz ernsthaft, ich habe keine Ahnung.
Sabine bedauernd: Ich habe das übersehen…

Martin lacht

Alexander: Martin, du Idiot! Das ist nicht lustig. Der Newsletter ging an 34.000 Leute – viele davon wichtige Stammkunden. Hast du eigentlich eine Ahnung, was das für Konsequenzen auf den Umsatz haben wird?
Herr Rott: Sowas kömmamamia nicht gebrauchen. Da hagelt es jetzt Abmahnungen. Alexander, dem Herrn Winter sollten wir jetzt eine Abmahnung machen.

Alexander rollt mit den Augen

Alexander: Also erstens ist Martin gesellschaftlicher Geschäftsführer und kann aus diesem Grund nicht wirklich abgemahnt werden. Hierzu müsste ein Angestelltenverhältnis bestehen und zweitens haben wir keine Möglichkeiten Abmahnungen auf ein DinA10 Blatt zu drucken. [lacht einen Moment über seinen großartigen Scherz, den Herr Rott selbstverständlich nicht versteht]
Herr Rott: Also, mit mir wird sowas nicht gemacht! Mit mir! Herr Winter, wenn es da jetzt einen Schaden gibt, kommen Sie dafür auf.
Alexander: Jetzt beruhigen wir uns alle wieder. Es ist nur ein bisschen peinlich, möglicherweise könnten es ein paar Kunden unseriös finden, jedoch der Großteil wird es nicht bemerken. Da kaufen sowieso nur relativ dumme Hausfrauen ein, die sich das dann wahrscheinlich ernsthaft auf die Brustwarzen reiben.

Herr Rott schaut als wäre er kurz vor einem Hirnschlag und man sieht deutlich wie ihm Speichel in den Mundwinkeln aufsteigt.

Alexander: Genau genommen kann es sogar sein, dass es sich positiv auf das Geschäft auswirkt, da solche Absurditäten oftmals zu Mundpropaganda führen. Es würde mich auch nicht wundern, wenn manche Leute sogar den Newsletter an Dritte weiterleiten.

Eine absonderliche Spastik zuckt durch Christophs Gesicht, gefolgt von einem lauten Schluckgeräusch, welches auf eine größere Speichelansammlung im Mund hinweist. Als hätte man das Licht eingeschaltet, durchflutet ein plötzliches Leuchten die Augen von Herrn Rott und das grimmigen Doggengesicht verwandelt sich in eine anmutende Engelsputte.

Herr Rott: Ja, der Martin! Der kleine Teufel – ausgefuchst und schlau! [drischt Martin zwischen die Schulterblätter]

Martin stolpert nach vorne und rempelt Frau Roggen an, dabei springt ihr ein Knopf der Bluse ab und sofort quillt Bauchfett hervor. Perplex und beschämt eilt sie zu ihrem Arbeitsplatz und zieht ihr Jäckchen an.

Martin: Oh, tut mir leid Frau Roggen, war keine Absicht.
Frau Roggen: Kann passieren. Ich hatte heute auch den ein oder anderen negativen Gedanken. [lacht] Instant Karma [lacht nochmal]

Aufgrund der absolut hohen Auffassungsgabe von Christoph Rott, kann er mittlerweile schon selbst die hochkomplizierte Nespresso-Maschine benutzen. Er lässt sich einen weiteren doppelten Ristretto raus. [Ristretti 5 und 6] Sabine ist gerade munter dabei ihren Kartoffelsalat mit einer extra Portion Mayonnaise zu versehen, Baris telefoniert mit seiner Freundin und Martin postet Epic-Fail-Bilder auf Facebook. Christoph Rott unterhält sich angeregt mit Georg und Alexander hat anhand einer fadenscheinigen Ausrede erstmal das Büro für eine Weile verlassen.

Herr Rott: Ich hab da eine Vision mit dem Internet. Mit den Filialen, da kaufen die Leute ja nur was, wenn man das denen halt wirklich auch erklärt. Da hammamamia Schulungen schon für die Mitarbeiter gezahlt, noch und nöcher und das bringt nicht soviel Umsatz. Da kann man sein Geld auch gleich ausm Fenster schmeißen. [lacht]
Georg leidend: Ja, im Internet kaufen die Leute mehr als in deiner Filiale.
Herr Rott: Ja, das kann man wohl sagen. Das ist ja wie eine Filiale im Internet – und Georg, wie viele Leute gehen da jeden Tag rein? Wenn jetzt auf der Welt 5 Milliarden Menschen leben und davon nur 2 Prozent ins Internet gehen, dann sind das ja … äh … hunderttausende, sind das!
Georg noch leidender: Es leben fast 7 Milliarden Menschen auf der Erde und zwei Prozent von 7 Milliarden sind 140 Millionen Menschen. Aber ich glaube nicht, dass die alle auf unseren Internetshop gehen und Shampoos kaufen, zumal die nicht alle deutsch sprechen. Ausserdem geht man davon aus, dass weit über eine Milliarde Menschen Zugang zum Internet haben.
Herr Rott ganz begeistert: Über eine Milliarde? Toll! Das ist ja noch besser für uns.

Georg kann sich ein lautes Seufzen nicht mehr verkneifen. Herr Rott geht derweilen mit einem breiten Grinsen zurück zur Nespresso-Maschine und gönnt sich – wer hätte es gedacht – einen weiteren doppelten Ristretto. [Ristretti 7 und 8]

Frau Roggen: Ach Herr Rott, Sie sollten nicht soviel von dem ganz starken Kaffee trinken, das ist nicht gesund.
Herr Rott: Mich haut so schnell nichts um [zwinkert Frau Roggen an]
Sabine: Naja, also genau genommen ist Koffein ein psychoaktives Alkaloid – also ein Nervengift. Man sollte da nicht mit übertreiben.

Herr Rott lacht als hätte ein kleines Kind gerade etwas dumm-witziges gesagt. Um allen zu zeigen wie extrem widerstandsfähig, männlich und toll er ist, geht er demonstrativ zur Kaffeemaschine und lässt sich einen weiteren doppelten Ristretto raus. [Ristretti 9 und 10] Baris schaut kurz von seinem Arbeitsplatz auf, schüttelt den Kopf und widmet sich wieder seiner Arbeit. Nach einer Weile fängt Herr Rott an vermehrt zu schwitzen und er steckt seine Hände in die Hosentaschen – ganz offensichtlich um einen Tremor zu verbergen. An seinem Hals erkennt man, dass sein Herz viel viel viel zu schnell schlägt und erste Tropfen bilden sich auf seiner Stirn.

Herr Rott mit gezwungen gelassener Stimme: So alle miteinander, ich muss langsam amal wieder weiter. Sagt mir dem Alexander toi toi toi.

Ja, er hat wirklich ‘toi toi toi’ gesagt. Herr Rott geht schnell aus dem Büro und kurz darauf hört man seinen Wagen wegfahren. Der weitere Verlauf des Büronachmittages birgt keine besonderen Zwischenfälle. Frau Roggen zieht sich eine Engelskarte, da sie leichte Kopfschmerzen hat und wissen möchte aus welchem Grund, Martin widmet sich seiner Programmierung und Georg quält sich neben kurzen Facebook Unterbrechungen durch die Textüberarbeitung von über 2000 Haarprodukten.

Am nächtsten Morgen um 10:23 klingelt Georgs Telefon.

Alexander: Hey Georg, ich komme heute ein bisschen später, ich muss noch ein Paket von der Post abholen. Ich habe mir Weingläser vo Riedel bestellt – sind die Besten. Muss ich dir gelegentlich mal zeigen. Ach ja und der Rott ist im Krankenhaus, der hatte gestern einen leichten Herzinfarkt.
Georg mit makabrer, amüsierter Stimme: Ach was?

Genau zwei Tage später um die Mittagszeit kommt Herr Rott ins Büro gestampft. Georg, der im Moment alleine am Arbeitsplatz ist, zwingt sich, Herrn Rott mit einem freundlichen Lächeln zu empfangen. Die Belegschaft ist am Mittagstisch und Georg, der eigentlich immer dabei ist, bleibt heute zurück, um einen wichtigen Anruf entgegen zu nehmen.

Herr Rott: Der Georg! Grüß dich! Wo sind denn alle?
Georg: Hallo Christoph! Die sind beim Essen. Wie geht es dir? Ich habe gehört du hattest einen leichten Herzinfarkt.
Herr Rott: Ja das stimmt. Aber ist ja nichts weiter passiert. Da braucht es schon ganz andere Umstände um mich wirklich umzuhauen. Die haben mir einen Schlauch oben am Oberschenkel rein und sind damit bis zum Herz rauf, willst dus sehen?
Georg: Ach, muss jetzt nicht … [wird von Herrn Rott unterbrochen]
Herr Rott: Da schau, der ganze Oberschenkel ist schwarz.

Herr Rott knöpft sich die Hose auf, zieht sie bis zu den Knien herunter und dreht seinen Oberschenkel nach außen. Der Schenkel ist schwarz-blau. Der Anblick löst bei Georg sofort einen ungeheuren Ekel und eine starke Fluchtmotivation aus. Als Herr Rott den Schenkel bis ganz nach aussen gedreht hat, fällt ihm sein Skrotum aus der Boxershort. Georg sieht sich selbst vor seinem inneren Auge, wie er vom Stuhl wegspringt, durch die Scheibe knallt und sich im Sprung, markdurchdringend brüllend, die Augäpfel aus den Sockeln reißt – es bleibt aber nur bei einem kurzen Schrei. Georgs Mund bleibt aber offen stehen. In diesem Moment kommt gerade Frau Roggen super sportlich durch die Eingangstür gejoggt. Sie sieht die Szene, Georg mit offenen Mund und Herrn Rott mit entblößtem Skrotum, schreit schockiert und läuft aus dem Büro.

 

 

 

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